#3 Ein unerschrockenes Zebra und das Unerklärliche

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Über mindestens zwei Ecken dürfte es gelaufen sein, aber der Ursprung unseres Treffens ist uns beiden heute noch unbekannt und das macht auch nichts. Denn wir sind hier und reden über ihre Arbeit im „Oberstübchen“, den Wald als Heilanstalt und warum sie keine ihrer Erfahrungen missen möchte. Monika Osl ist Mentalcoach und psychosoziale Beraterin, Mutter von drei lebenden Kindern und von Magdalena, Kilian und Noah.

Und dabei führte sie Magdalena zu ihrer heutigen Aufgabe und wahrscheinlich einer Art Berufung. Denn der Zulauf war von Anfang an groß und man traut es ihr zu, trauernde Menschen mit dem zu nähren, was ihnen in speziellen Zeiten fehlt. Und dabei kristallisiert sich das immer wiederkehrende Rezept heraus: dass es nicht die Ratschläge oder eingeübten Sätze sind, die helfen, sondern das Zuhören und wertfreie Geltenlassen. Wobei sie nicht ohne Schmunzeln auf ein damals unberechenbares Ich zurückblickt. Denn Recht machen, kann man es einer Trauernden oft schwer.

Sie ist gern unter Leuten, solide eingewoben in das soziale Gefüge einer überschaubaren Dorfgemeinde. Ein nahbares Netz an hilfsbereiten Mitmenschen, wo sich durch ihre drei Erfahrungen die ein oder andere Überraschung offenbarte. Begegnungen, Gesten oder Tiefgänge, die man so nicht erwartet hätte. Auch Enttäuschungen, das ist klar. Aber auch eigenwillige Situationen, wo Menschen im Alltag die Straßenseite wechselten oder jemand so lange in das eine Regal im Supermarkt starrte, bis die Betroffene endlich vorbei gegangen war – das gab es auch. Und retrospektiv kann sie erkennen, dass es oft ihre eigenen Signale waren, die dem Gegenüber ein Ausweichen suggeriert haben – dass in ihrem „Trauerhaus“ die Türen auch manchmal verschlossen waren.

Ich hab für mich gemerkt, wenn ich Antworten bekommen hab, dass ich die nicht hören wollte. Das Unerklärliche erklärt zu bekommen, war auch etwas, das nicht stimmig war.

Selbstverständlich dominiert oft auch die Sinnfrage, die Suche nach Gerechtigkeit, die Größenordnung der Eigenverantwortung, wer denn nun die Schuld trägt oder schlicht eine schlüssige Erklärung liefern kann. Hätte ihr der Pfarrer damals nicht geantwortet, dass er es sich selbst nicht erklären kann, dass der Liebe Gott obendrein vielleicht sogar einen Engel gebraucht hatte, hätte sie ihn wahrscheinlich auf den Mond geschossen. Und auch jede andere Antwort oder jeder gutgemeinte Ratschlag liefen ins Leere, verfehlten ihre Gültigkeit, weil sie sich am Ende nie stimmig genug anfühlten. Da kannst Du sagen, was Du willst. Am wohlsten tut es, wenn Du dieselben Fragen einfach immer wieder stellen darfst.

Das Gespräch fließt, Monika als erfahrende Quelle vieler Aspekte. Sie erinnert sich an ihre Arbeit im Hospiz, wo die einst ungeborenen Kinder in der letzten Lebensphase älterer Menschen oft einen großen Stellenwert einnehmen. Vor allem, weil in dieser Generation sehr wenig darüber gesprochen wurde. „Man unterschätzt, wie nicht gelebte Trauer in einem arbeitet“, bemerkt sie und wir nicken uns zu. Das Krankenhaus in Kufstein sei ein Vorbild für den Umgang mit stillen Geburten, die sofortige seelische Betreuung ein Maßstab, wie man ihn in anderen Kliniken oft vermisst. Obwohl sich seit ihren Erfahrungen, die bald 26 Jahre zurückliegen, schon sehr viel getan hat und das Tabu mehr und mehr im Abnehmen begriffen ist.

Und ob man es jetzt sagen darf oder nicht, aber die „legendäre Arschkarte“ wird höchstwahrscheinlich willkürlich verteilt und die Herausforderung besteht darin, gut damit umzugehen. Ohne dabei zu vergessen, dass man niemals alleine ist, wo doch im Falle Monika’s immer die Familie als stabiler Anker und bedingungsloser Zufluchtsort vorhanden ist. Noch unbescholtener vermittelt sich der Blick der Kinder auf ihre Geschwister im „Irgendwo“.

Ist es nicht klar, dass Kerzen auf dem Grab eines Bruders langweilig sind? Das gefällt doch nur Omas. Warum spielt man denn nicht Frisbee auf dem Friedhof? – Gefragt, getan. Dass die Nachbarschaft hier die Augen rollt, ist in diesen herzlichen Momenten leicht verdaulich. Auf die Frage nach greifbaren Objekten im Prozess der Verarbeitung erinnert sich Monika an die Arche aus Playmobil, die an Noah’s Grab lange stand. Die Jungs aus der Nachbarschaft trafen sich regelmäßig vor dem Fußballspielen bei der Arche. Ein Ritus, der sich damals als Selbstverständlichkeit in den Alltag wob – ein Ort der spielerischen Vergegenwärtigung. Das ging eine ganze Weile so, bis anscheinend irgendwann ein Zebra verschwand.

Wohl mehr als eine Dekade später durfte Monika über den Verbleib erfahren, als eines Tages einer der mittlerweile erwachsenen Buben vor der Haustür stand und das Zebra zurückgeben wollte. Es habe lange Zeit auf seinem Nachtkästchen gestanden und ihn daran erinnert, dass es nicht selbstverständlich ist, als Kind am Leben sein zu dürfen. – Ein bemerkenswerter Nachhall, der im Staunen daran erinnert, dass der offene Umgang eine Außenwirkung erzeugen kann, die man sich im damaligen Moment kaum vorzustellen vermochte.

Es ist von sich aus schon so ein Tabuthema, aber die Papa-Trauer ist noch unsichtbarer.

Männliche Stimme aus der „Trauergruppe für verwaiste Eltern“.

Ein großes Kapitel in ihrem Leben stellt auch die damals ins Leben gerufene Trauergruppe dar. Ein monatlicher Redekreis, dessen Idee sich mittlerweile schon weit über die Grenzen von Kufstein hinaus getragen hat. Auf diesem Weg hat Monika viele heilende Begegnungen begleitet, hat aber auch das Gefühl diese Aufgabe bald abgeben zu wollen. Denn ,wenn es eine Lehre gibt, die sie für sich gezogen hat, dann ist es wohl das konkretere Bewusstsein die Endlichkeit.

Das Selbstverständnis der Endlichkeit im Wachsen und Absterben in der Natur, und damit verbunden auch des eigenen Lebens. Was am Anfang als Schmerz empfunden wird, kann in Folge auch Positives bewirken. Ein erhöhtes Bewusstsein, das den Bedürfnissen des Ichs genügend Aufmerksamkeit schenkt – womit sich Lebensfreude und die damit einhergehende Dankbarkeit ebenbürtig begegnen dürfen.


Weiterführender Link: kopfstark.at – Trauergruppe verwaister Eltern

By remo

Über das Projekt

Das Projekt sammelt Geschichten und Stimmen zum Thema ‘Sternenkinder’ und möchte dies in Form von Audioaufnahmen zu einem Animationsfilm verarbeiten.

Die gesammelten Ergebnisse der Gespräche, sowie Einblicke in das Handwerk des Animationsfilms sollen über diese Webseite einem interessierten Publikum zugänglich sein. Ebenso soll dieses Archiv betroffenen Menschen als Inspiration und therapheutische Anlaufstelle dienen.

Das hier beleuchtete Phänomen ist kein Seltenes, und gerät als gesellschaftliches Tabu oft in eine prekäre Nische, die zu seelischen Schieflagen führen kann. Für den Film und die Sammlung werden Menschen gesucht, die anderen Betroffenen neue Sichtweisen und heilende Perspektiven schenken wollen.