Metamorphosis Strobl

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Ein sonniger Nachmittag und die bereits versammelte Traube beschließt noch einen gemeinsamen Spaziergang zu machen, bevor es losgeht. Ich bereite die Projektion vor, hänge die Leinwand zwischen zwei rollbaren Trennwänden und bereite die Sitzgelegenheiten am Boden vor. Mit Yogamatten und Polstern. Maria arrangiert die Instrumente und wir platzieren Stühle im hinteren Bereich.

Der Aigenraum wird vielfältig genutzt. Neben vereinsinternen Veranstaltungen und Workshops aller Art, wird hier Musik aufgeführt oder produziert, es proben Theatergruppen oder es passieren Filmaufnahmen. Heute findet eine gesonderte Reflexion zum Thema Sternenkinder statt. Den Termin dafür haben wir lange gesucht und verschoben. Es hätte eigentlich schon im Sommer stattfinden sollen. Umso mehr stieg die Spannung und das Interesse auf den heutigen Tag. Es erscheinen weitere Personen aus verschiedenen Ecken Oberösterreichs, dem Mostviertel und Salzburg. Der Eingangsbereich füllt sich und die Gespräche erhöhen den Geräuschpegel im Raum. Es ist Zeit.

Philipp hilft mir noch beim Einrichten der Tonanlage, die wider Erwartens ihre Tücken präsentiert. Und ich knie mich vor die Leinwand und blicke in die erwartungsvollen und durchwegs bekannten Gesichter. Auch eine Hand voll Kinder ist anwesend. Die Einleitung soll den Kontext liefern, Dankbarkeit und Respekt aussprechen. Denn es sind auch Betroffene und beteiligte Stimmen aus dem Film anwesend. Ich erkenne so manches Nicken und Glitzern im Halbdunkel des Raumes. Ich lasse die Filmdatei starten und verlasse das Sichtfeld.

Ich kenne manche Schicksale der anwesenden Menschen und beobachte im Augenwinkel deren Reaktionen. Erkenne aber nur gebanntes Lauschen und Zusehen. Der Strom der Erzählung entfaltet seinen Sog. Es ist mucksmäuschenstill. Auch bei den Kindern. Nach der Vorstellung gesteht mir eine Siebenjährige, dass sie den Film komisch gefunden hat. Im Trailer hat man so eine Figur gesehen, die war schön. Aber der Rest scheint sie weniger erreicht zu haben. Die Mutter ergänzt und zwinkert mir zu.

Am Ende der Vorführung legt sich eine besondere Stille über die Menschen. Der Blick bleibt auf der schwarzen Leinwand und ich fühle mich beordert, einen Abschluss zu bilden. Erneute setze ich mich auf den Boden und lasse den Blick lange schweifen. Nur der teils schwere Atem ist hörbar und ich finde nach einer angemessenen Weile den Einsatz zur Ankündigung einer kleinen Pause, bevor wir in den Redekreis übergehen. Die Kerze vor dem Projektor bilde schon die Mitte dafür und der Umbau beginnt.

Ich finde den Weg nach draußen und verabschiede mich von einem Freund, der leider schon heim muss. Auch Sonja Zobels Zeitfenster ist knapp bemessen, wo doch der Partner schon zuhause mit Kind warte. Lange habe sie auf eine Gelegenheit gehofft, den Film sehen zu können. Ihr Feedback ist wertvoll und äußerst lobend. Als Kulturschaffende erkennt sie die Intentionen und Macharten der Produktion. Sieht die Vielfalt und den Querschnitt, der in seiner Knappheit auch einen Tiefgang findet. Sie kennt ja das Archiv und die Hintergründe. Wir freuen uns auf ein Wiedersehen und wünschen schöne Grüße.

Bei meiner Rückkehr warten schon viele im Redekreis und schweigen. Und schaffen somit die Atmosphäre für ein wertfreies Zuhören, bis tatsächliche Stille einkehrt. Nach einer Weile erreicht mich der Blick von Maria und ich greife nach einem Holzstück aus der Mitte des mittlerweile mit Kerzen und Objekten geschmückten Mittelpunkt des Kreises. Ich bedanke mich für die zahlreiche Anteilnahme und schildere meine emotionalen Eckpunkte auf dem Weg zur Erstellung des Films. Die Ängste, die mich erreichten, als Nico zu Franka schwanger wurde. Das Kopfkino und die damit einhergehende Erleichterung, als dann alles gut lief. Ich erinnere mich noch genau an die erste Dusche nach der Geburt, wo der Schwall des Wassers kaum von den eigenen Tränen zu unterscheiden war.

Und die Anekdoten der Anwesenden fangen an in die Mitte zu tröpfeln. Maria ist als Tochter einer siebenfachen Sternenmutter besonders betroffen und schüttet ihr Herz aus. Weiß, dass heute kommen darf, was raus muss und versucht zu formulieren, was viel zu lange unter dem Schweigen vergraben bleiben musste. Zumindest in der Vergangenheit. Ich kenne die Geschichte natürlich vom Interview mit ihrer Mutter und weiß, dass ein besonders verkappter Umgang auch seitens der Familie und er ländlich geprägten Kirche praktiziert wurde. Umso mehr freut es mich, dass bereits viele Schritte geschehen sind, die zum Abtragen dieser Mauern beigetragen haben. Heute bröckelt es erneut.

Viele ergreifen das Wort und stülpen teilweise zum ersten Mal ihr Inneres zu diesem Thema nach außen. Denn hier ist ein besonderer Rahmen gegeben, welcher so mancherorts vermisst wird. Ein Raum des bedingungslosen Zuhörens, der wertfreien Begegnung ohne Pflicht zur Reaktion oder Interaktion. Jegliche Emotion darf sich entfalten und wird somit befreit von ihrer Verkrustung. So sprengen wir so manche Blockade, die uns andernorts offensichtlich antrainiert wurde. Ich vergleiche die Situation mit dem Bild eines Flussbetts, das im Durchschwemmtwerden eine stets steigende Stabilität erfährt und ziehe damit einen Bogen zur David Weichenbergers Aussage der neuen Superkraft, die er im Umgang mit Trauer erlernt hat.

In manchen Momenten inspirieren Gedanken Anderer zur Weiterführung und Ergänzung. Und so wird die Dualität von Tod und Leben zu einem wiederkehrenden Element im Monologisieren. Irgendwo zwischen intellektueller Greifbarkeit und dessen emotionaler Unmöglichkeit glauben wir zu erkennen, dass der kategorischen Trennung zwischen Mensch und Natur ein Irrtum zu Grunde liegt. Vielmehr spüren manche die Verbindung zu einem gemeinsamen Nenner und die Runde reichert sich mit äußert wertvollen Perspektiven an. Auch betreten heitere Gedanken den Diskurs und erhellen mit frischer und leichtfüßigen Ideen. Denn der Gedanke der Wiedergeburt und die Idee einer holistischen Verbindung der Seelenwelt, lässt ein Schmunzeln entstehen. Denn es könnte ja auch sein, dass all die heutigen Gedanken durch eine direkte Verbindung zu den Sternenkindern in unsere Köpfe gewandert sind. Dass es heute ihre Wünsche und ihre Stimmen sind, die uns die Kraft dazu geben, Dinge auszusprechen. Und wenn dem so wäre, wir einer lückenlosen Querverbindung unterliegen und uns somit die Heilung per se innewohnt. Man müsse nur die Perspektive zulassen, um dessen Wirkung erlebbar zu machen.

Ab diesem Zeitpunkt weicht meine Betroffenheit einem Gefühl von Mut und Kraft. Es füllt meinen Brustraum. Mit sicherer Stimme finde ich Worte zur manchen Bildern des Films und erkenne, dass die heutige kollektive Katharsis gerade wegen des andauerndes Schneuzens und der vielen Tränen einen unglaublich wertvollen Nachhall erzeugen wird. Dass auch Humor seinen Platz findet und die Stimmung in Wohlbefinden und Aufgehobensein münden wird. Viele liegen schon über den Flipchart-Seiten und malen an gemeinsamen Bildern. Finden den Ausdruck im Zeichnen und späteren Musizieren. Denn wir beenden den Kreis und gehen in den offeneren Abend über, der sehr wohl tut und wieder frei atmen lässt.

Der Ausklang bietet Gelegenheit zum konkreteren Austausch, für Feedback und Plauderei. Um so den Weg in die äußere Welt zu ebnen. Denn das heute Besprochene und Erlebte darf sich integrieren und hinausgetragen werden. Die hier Anwesenden waren sich ohnehin schon im Vorhinein darüber einig, dass die Thematik einer unbedingten Aufarbeitung bedarf und im direkten Gespräch zu suchen ist. Ein wahrhaftige Wonne und ein großes Glück hier und heute Zeuge dieses Kreises gewesen zu sein. Vielen, vielen Dank.

Verein Metamorphosis - www.metamorphosis.or.at
Aigenraum Strobl - www.aigenraum.at

By remo

Remo RAUSCHER *84

Filmemacher aus Linz an der blauen Donau. Freude an der Paarung experimenteller Ansätze mit gesellschaftlicher Anwendung. Tätig in den audiovisuellen Bereichen der Bühne, Animationsfilm und kollaboratives Filmemachen.

www.remorauscher.at