Geehrte FördergeberInnen,
geschätzte GesprächsparterInnen,
liebe MusikerInnen,
liebe Betroffene.
Vor gut zehn Jahren entstand das Bedürfnis das Thema der stillen Geburt als Dokumentar- bzw. Animationsfilm umzusetzen. Zwei Förderanträge 2022 ließen die Idee wachsen und ermöglichten die Umsetzung im Jahr 2024.
Und ich muss gestehen, dass ich zu Beginn recht blauäugig in die Thematik reinging. Die Neugier und eine gute Portion Intuition ließen nur grob vorahnen, wie tiefgreifend die Erfahrungen der Menschen sind, wenn sie ein Kind leblos gebären müssen. Dass dieser Akt überhaupt auf natürliche Art stattfindet und dies der medizinisch empfohlene Weg ist, war mir zum Beispiel völlig unklar. Wie auch so vieles mehr im Zusammenhang mit der psychischen und gesellschaftlichen Handhabe. Denn es kann krank machen, nicht darüber zu sprechen.
Um so mehr wurde ich von den raschen Rückmeldung überrascht, die nach einer einzigen Ausschreibung aufpoppten. Binnen einiger Tage meldeten sich zig Betroffene, um am Projekt teilzunehmen. Ein paar Wochen danach begann die Interviewserie in Breitenbach in Tirol. Die Reise führte in fünf Bundesländer und zu einundzwanzig Vätern, Müttern oder Paaren, einer Sternenfotografin, einer Psychologin und einem Bestatter. Alle diese Gespräche sind einzigartig. Jede Geschichte zutiefst berührend oder erschütternd, sowie lehrreich und heilsam.
Das Online-Archiv macht alle diese Tonaufnahmen öffentlich und in voller Länge zugänglich, wo diese bereits selbständig zu weiteren Betroffenen gefunden haben. Die Kette der Empfehlung flüstert anonym. Nur in seltenen Fällen ließ sich erurieren, wie der Kontakt zustande kam. Dennoch überwältigt die Offenheit.
Wenn man die Kinder fragen würde, ob das okay ist, dass auch Momente dabei sind im Leben, wo sie unbeschwert sein dürfen, jedes Kind würde sagen: Mama, Papa, tanzt!
Marion Gruber-Müller
Die bisherigen Rückmeldungen sind sich allesamt einig. Jede betroffene Person hatte das eindeutige Bedürfnis ihre individuelle Geschichte zu erzählen. Für Manche war es gar das erste Mal, dass öffentlich darüber gesprochen wurde. Umso stärker der Tenor der Dankbarkeit und das Bewusstsein, dass damit ein konstruktiver Beitrag geleistet wurde. Denn die Entmystifizierung dieser omnipräsenten Situation führt in jedem Fall zur einer Öffnung unserer antrainierten Kultur des Schweigens.
Diese Wiederum tut eindeutig gut daran gebrochen zu werden. Denn viele Betroffene benennen ihre Empörung gegenüber einem unbeholfenen, teils ignoranten Umfeld. Gegenüber Missständen und Scheuklappen, die zusätzliche Wunden erzeugen. Wo ein Überspielen in die Isolation treibt und die psychische Komponente des Heilwerdens in einer unterbelichteten Ecke verkümmert. Im sozialpolitischen, sowie im medizinischen Kontext. Wir müssen hier dazulernen und behutsame Veränderungen vornehmen, um gesunde Handlungen zu setzen. Warum? Weil das Handbuch für den richtigen Umgang schlichtweg fehlt. Eine kulturelle Verwahrlosung aufgrund von Berührungsängsten mit dem Tod, gekoppelt an Ideen des Scheiterns oder Funktionierensollens – vor allem auf weiblicher Seite – führen zum Ausblenden und Tabuisieren. An manchen Enden ein äußerst beschämendes Gefühl, so etwas in einem christlich geprägten Land wie Österreich vorzufinden.
Und ja: ich bemerke auch die Schwerfälligkeit und kenne die innere Hemmung, das Thema immer wieder von Neuem zu behandeln. Stunde für Stunde die Geschichten immer wieder zu besuchen, um den Film zu realisieren oder Texte zu schreiben. Selbst jetzt drückt eine Emotion auf meine Brust und lässt den Atem irgendwie zähflüssiger werden. Und klar: die Sache ist auf gut Oberösterreichisch ziemlich ‘zach’ und lässt im ersten Moment sprachlos ins Leere blicken, wenn man von einem Schwangerschaftsabbruch, einer Früh- oder Fehlgeburt erfährt. Der gut gemeinte Ratschlag mit dem Blick nach ‘vorne’ wischt jedoch leider voreilig beiseite, wo eigentlich viel mehr Gehör geschenkt werden sollte und muss.
Genau diese fehlende Gesprächskultur kann trainiert werden, sollte im Repertoire unserer Soft-Skills als Standard gehandhabt werden und als vorzeigbare Stärke gelten. Denn es hilft Betroffenen immer dann, wenn man bedingungslos annehmen und ehrlich zuhören kann. Ohne unbeholfener Versuche etwas schönreden zu wollen. Wo man als Stütze hilft den Raum zu halten, statt ihn möglichst rasch in ein pseudo-positives Licht zu rücken.
Meine Erkenntnis: ‘Scheisse’ darf auch ‘Scheisse’ genannt werden. Genauso wie die verstorbenen Kinder unsere Kinder bleiben. Sie sind allgegenwärtig im Leben verankert und für immer Teil der Familie. Und so sollten wir sie auch denken und fühlen.
Die einundzwanzig Gespräche forderten jeweils eine gewisse Anbahnung und Organisation. Manchmal auch Empfehlung oder Überwindung. Und es zeichnet sich auch eine gewisse Entwicklung und Lernkurve ab, was die Gesprächsführung und die Fragestellungen betrifft. Die ersten Gespräche waren in der Bearbeitung und schriftlichen Abhandlung oft recht knapp gehalten, was aus heutiger Sicht der Unerfahrenheit und einer fehlenden Trittsicherheit geschuldet ist. Je weiter sich das Bild über das Tabu in mir entwickeln durfte, manche Teilaspekte sich gelegentlich überschnitten, wenn Begrifflichkeiten ihren angestammten Platz im Vokabular erhielten, um so mehr traute ich mich auch selbst, Meinungen und Standpunkte zu äußern. Gedanken nach außen zu tragen. Ein Muskel quasi, der existiert (!). Genauso wie Trauer eine allgegenwärtige Realität darstellt. Auf meine Frage an die Psychologin Marion Gruber-Müller nach der evolutionären Sinnhaftigkeit dieser psychischen Reaktion, hob sie die Empathie und das Trösten als ein für das soziale Gefüge überlebenswichtiges und stabilisierendes Element hervor.
So stellte sich bald heraus, dass das Gesprächsarchiv einen womöglich größeren Wert haben wird, als der Film an sich. Was am Ende nicht überrascht, wenn man bedenkt, dass die nötige Tiefe einen Aspekt gründlich zu beleuchten oder gebührend zu behandeln, viel mehr Zeit braucht, als es die Sprache des Animationsfilms in dieser Länge zulässt. Zumindest nicht, wenn man alleine daran arbeitet. Die angestrebte Länge von zwanzig Minuten steht in keinem Verhältnis zu den über zwanzig Stunden Material, das gesammelt wurde und so unglaublich viel mehr erzählt.
Auch hat das Verschriftlichen der Geschichten eine unheimlich therapeutische Wirkung erzeugt. Und das auf beiden Seiten: es half mir persönlich dem Thema und den damit verbundenen emotionalen Tiefgängen irgendwo Herr zu werden und vice-versa sprachen mir die Betroffenen dafür ihren Dank aus, dass es sie berührte und sie sich geehrt und genährt fühlten, wenn ihrer persönlichen Geschichte plötzlich soviel Aufmerksamkeit und Raum geschenkt wurde.
Eine dritte wertvolle Komponente dieses Synergieeffekts ist die schriftliche Zugänglichkeit zur Thematik. Vorerst online, eventuell auch noch auf Papier. Sei es der Film, die Audio-Aufnahmen oder die Texte. Alle drei wirken und erreichen auf unterschiedlichen Ebenen Betroffene oder Außenstehende und tragen dazu bei, Schablonen für neue Werkzeuge zu entwickeln.
Nach einigen Anlaufschwierigkeiten bzw. einem guten Lern- und Entscheidungsprozess begann ich im Oktober zu Zeichnen. Die anfängliche Annahme komplett analog zu bleiben, entpuppte sich als unmöglicher Weg angesichts des Umfangs. So testete ich einige Softwarepakete und landete mittels iPad und Zeichentablett am Computer. Es spart unglaublich viel Zeit, beeinflusst aber auch die Aesthetik. Und diese darf ganz unverblümt spüren lassen, dass hier eine Einzelperson die Trickkiste bedienen musste. Zugute kommt dieser Limitierung immer noch die Natur des Dokumentarischen. Denn die Bilder sind im Endeffekt ein Addon, um das Gesagte ins Kino zu tragen. Die eigentliche Authentizität liegt bei den Stimmen. Und diese sind in ihrer Realität unschlagbar nahe und intim. Für mich sind die realen Stimmen die stärkste Qualität der Arbeit. Alles übrige dient diesem Zugpferd.
Die bisherigen drei Monate ließen zirka fünf Minuten Animation entstehen, die als Ausgangsbasis zur Besprechung einem ehemaligen Filmprofessor gezeigt wurden. Das Gespräch hat meiner Betriebsblindheit sehr auf die Sprünge geholfen und erkennen lassen, dass die Erzählgeschwindigkeit sehr hochgeschraubt wirkt und der Rezipient teilweise einer Reizüberflutung unterliegen könnte. Die Ebene zusätzlicher Interpretation oder eine versuchte Auflockerung dessen fordert viel Energie, die andernorts im Verarbeiten der Materie benötigt wird. Dies ist unter Umständen auch der Natur des Themas geschuldet, denn die Worte haben oft ein heftiges Gewicht, das Zeit braucht, um verdaut zu werden.
Die aktuelle Überarbeitung der Audiospur ist bei Nummer sieben angelangt und findet derzeit den Weg zur taktvollen Auflockerung, um die Aussagen atmen zu lassen. Auch hat sich in diesen Tagen die musikalische Ebene endlich final festlegen lassen. Um die Emotionen zu tragen, war es unabdingbar, mit passenden Musikstücken durch dunklere Passagen zu tragen oder die Dramaturgie in eine konstruktive Richtung zu lenken. Auch gibt es Stabilität und Struktur, woran man sich anhalten kann, wenn die Emotion in der Luft schwebt oder Orientierung sucht.
Ein Credo, das von Anfang an klar war, ist die lebensbejahende Stimmung, die der Film in die Welt senden soll. Ein eindeutiges Ja für die offene und taktvolle Handhabe bzw. Verabschiedung des Tabus.
An dieser Stelle möchte ich mich zutiefst bei den MusikerInnen Clemens Sainitzer, Felix Rösch, Benjamin Langeder, Maria Eppensteiner und Roberta Valenzuela für ihre Beiträge bedanken!
Aktuell arbeite ich fieberhaft an der Entwicklung der Animationssequenzen. Drei davon befinden sich in einer ersten Version als Exzerpt hier schon angefügt. Der Prozess soll und darf bis Mitte Februar dauern, weil danach mein eigenes erstes Kind geboren wird. (Birthline = Deadline) Als Premiere für den Film stelle ich mir derzeit das Crossing Europe Film Festival vor, welches Anfang Mai stattfinden wird.
Ab diesem Zeitpunkt soll der Film seine Festivalrunde machen dürfen, um danach frei zugänglich zu sein. Auch das Archiv soll weiterleben, um in Form einer physischen Publikation zusätzliche Betroffene erreichen zu können. Anfragen an Verlage sind derzeit in der Warteschleife. Für Hinweise zu etwaigen Förderstellen diesbezüglich bin ich immer dankbar.
Außerdem haben bereits zwei Gespräche mit TheatermacherInnen aus Innsbruck und Graz stattgefunden, die sich jeweils mit dem Thema Sternenkind befassen wollen. Im Raum steht eine Kooperation für das Recherchematerial und eine mögliche gemeinsame Ausstellung oder Umsetzung im nächsten Jahr.
Als Randnotiz möchte ich hier kurz schmunzeln, denn die eigene Musik hat mich vor über zehn Jahren zum Theater geführt und nun landen einzelne Inhalte dieser filmischen Arbeit höchstwahrscheinlich wieder auf einer Bühne. Und dabei ist es die kurze Halbwertszeit, die mich vom Theater zurück zum Film gezogen hat. Was das Bedürfnis nach einer dokumentarischen Annäherung ursprünglich auch befeuert hat, um relevante Beträge zu liefern, die längerfristig zugänglich bleiben und wirken können. Die Arbeitsweise entspricht vielen meiner Fähigkeiten und bereichert auf jeder Ebene. Ich glaube mit Projekt LINA ein zeitloses Thema bearbeitet zu haben, das in seiner Nachhaltigkeit jetzt schon seine Wirkung zeigt.
Vielen Dank für die großartige Unterstützung und Teilnahme!
Schönen Jahreswechsel und bis bald,
Remo