Hemmschwelle und Machbarkeit

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Allmählich kehrt sowas wie Routine ein. Zumindest beim Schreiben, wo sich ein gewisser Workflow etabliert hat. Das stichwortartige Transkribieren geht passagenweise schon fast in Echtzeit und doch muss man immer wieder Pausieren und Rückspulen. Einordnen und Zitate rausheben, Bilder und Formulierungen notieren. Auch die Tonspur wird im selben Aufwischen gleich in semantische Cluster strukturiert. Farblich markiert, wo gute Stellen sein könnten. Manchmal auch schon mit Musik experimentiert. Zwei bis drei Tage dauert das mittlerweile pro Gespräch, die in der Regel zwischen sechzig und hundert Minuten dauern und in gesäuberter und teils gekürzter Fassung mit in den Artikel wandern. Als Basis und öffentliches Archiv.

Und es geht immer wieder unter die Haut. Ziemlich oft antworte ich auf die Frage, wie es mir beim Projekt geht, mit der Aussage, dass ich noch nie soviel weinen musste. Egal wie oft man emotionale Ausschnitte schon gehört haben mag, es killt jedes Mal wieder und drückt voll drauf. An sich ja ein Zeichen für die Authentizität und Kraft des Materials. Die Unebenheiten und Nuancen in den Stimmen der Menschen machen es aus. Ohne Glätten oder Schönbügeln. Jedes Atmen oder Stolpern sitzt genau dort, wo es hingehört. Alles Zeugen dieser wahren Geschichten.

Was auffällt, sind auch meine eigenen Hemmungen gegenüber jedem nächsten Brocken. Siebzehn Gespräche sind bereits im Kasten, erst vierzehn archiviert, vier könnten noch folgen: Wahnsinn. Nie hätte ich mit so vielen gerechnet, nicht so schnell und unkompliziert. Wieviele Minuten das mittlerweile sind, weiß ich nicht. Es macht sich nur die klare Vorahnung breit, dass der Film das angepeilte Korsett von zehn Minuten sprengen würde oder als hastige Verstümmelung sein Potential verspielen würde. Weil die Passagen Zeit brauchen, das Gesagte Ruhe benötigt, um aufgenommen und verarbeitet zu werden können. Weil diese Realitäten gewichtigen Tiefgang vermitteln und vom Publikum gehalten werden sollen.

Erste Gehversuche in Blender.

Neben einer Hand voll A4-Blätter mit groben Skizzen gibt es schon erste Gehversuche in einer für mich neuen Software. Oldschool Zeichentrick ist eine Premiere für mich. Lange habe ich mich gegen eine digitale Variante innerlich gewehrt, wo ich doch dem Analogen mehr vertraue, mehr Synergieeffekt und Charme darin sehe. Doch es überwiegen die praktischen Möglichkeiten und die unkomplizierte Handhabe. Man bleibt bis zum Schluss flexibel und ist um Welten schneller, wo doch Zeit eine Herausforderung darstellen könnte.

Stellt sich die große Frage nach dem Stil, der Herangehensweise mit der richtigen Balance aus Abstraktion und Bebilderung. Denn nichts wäre ungeschickter, als sich in einem Perfektionsgrad zu stürzen, der über Kurz oder Lang die Motivation erdrückt. Eine gezielter Minimalismus und ehrliche Clumsiness sprechen hier schon die richtige Sprache. Oft reichen die drei Linien, um ein Figur zu fassen, konzentrische Kreisverläufe für das Gefühl von Wassertropfen, eine schemenhafte Silhouette für die Spiegelung einer Frau. Und darf gekrakelt oder zitternd sein, als Annäherung an die emotionale Bewegung. Denn schlußendlich werden die Sterne von den Stimmen getragen, wobei die visuelle Ebene lediglich für den passenden Teppich zu sorgen hat.

By remo

Über das Projekt

Das Projekt sammelt Geschichten und Stimmen zum Thema ‘Sternenkinder’ und möchte dies in Form von Audioaufnahmen zu einem Animationsfilm verarbeiten.

Die gesammelten Ergebnisse der Gespräche, sowie Einblicke in das Handwerk des Animationsfilms sollen über diese Webseite einem interessierten Publikum zugänglich sein. Ebenso soll dieses Archiv betroffenen Menschen als Inspiration und therapheutische Anlaufstelle dienen.

Das hier beleuchtete Phänomen ist kein Seltenes, und gerät als gesellschaftliches Tabu oft in eine prekäre Nische, die zu seelischen Schieflagen führen kann. Für den Film und die Sammlung werden Menschen gesucht, die anderen Betroffenen neue Sichtweisen und heilende Perspektiven schenken wollen.