Die Vorfreude währte schon für eine ganze Weile. Lange hatte ich nicht mehr die Chance beim BAAF in Wien dabei zu sein. Zuletzt 2013, wie die Poster bei der Ausstellung von damals berichten. Das Screening am Mittwoch verläuft wunderbar. Sehr sympathische und sattelfeste Moderation durch Karo Preuschl. Der Block “Unabhängige Arbeiten 1 … über die Menschen” hat es in sich. Meine anfängliche Skepsis über die frühe Programmierung als zweiter Film in der Liste verflüchtigt sich rasch. Denn ich empfinde es immer noch als schwierig, den Film in einer Reihe von unterschiedlichsten Arbeiten zu platzieren. Aber Thomas Renoldner und Sabine Groschup führen in feinsinniger Handhabe durch die prekären Welten des heutigen Programms.
Ich bin in voller Besetzung angereist: Nico und Franka sind dabei und wir haben für später ein Zimmer in der Nähe des Hauptbahnhofs gebucht. Und die Stimmung nach der Aufführung lädt zum Verweilen ein, denn die Gespräche bleiben spannend, das Feedback durchwegs positiv und gespickt mit eigenen Erfahrungen zum Tabu. In der Menge höre ich jemanden meinen Namen rufen, finde aber auf Anhieb kein bekanntes Gesicht dazu. Bis sie mir entgegen lächelt. Hannah Baier vom Verein ZOE aus Linz wurde mir bereits von ihrer Kollegin per Email angekündigt. Sie wolle die Gelegenheit nutzen, um über die mögliche Ausstellung im Kepler Universitätsklinikum zu sprechen. Auch ihr Partner Lukas ist dabei und wir finden unsere gemeinsamen Ursprünge im Raum Gmunden. Die Welt ist klein und das Paar super-sympathisch. Ich freue mich über die kommende Zusammenarbeit und mir imponiert ihre Haltung und Berufung zur sozialen Arbeit. Denn auch der Verein ZOE ist auf Spenden und Ehrenamt angewiesen. An diesen Enden des Spektrums gelangt zu wenig politisches Licht hin. Wobei ich erfahre, dass die derzeitige Bundesministerin für Europa, Integration und Familie großes Engagement für einen verbesserten Mutterschutz bei Fehl- oder Frühgeburten zeigt. Am Tag nach dem Gespräch sende ich Claudia Plakolm eine Einladung zum Film und biete die Ressourcen von Projekt Lina zur freien Verwendung an. Denn das Werkzeug könnte ja auch Entscheidungsträger:innen die Türen zum Thema öffnen und Notwendigkeiten erkennen lassen.

Ich begegne weiteren Filmemacher:innen, unter anderem Irene Villanueva aus Oberösterreich. Ihre expressive Arbeit zur Realität von Femiziden in Österreich geht brachial unter die Haut. Ein heftige Realität, die im Minimalismus der Darstellung ein Maximum an Wirksamkeit erzeugt. Auch die Arbeit F22.0 von Regina Hofer spricht über ein unterbelichtetes Krankheitsbild: der wahnhaften Störung. Wobei sie im Publikumsgespräch verlautbart, dass die Patienten in der Psychiatrie meist ganz normale Menschen sind. Ein Mitarbeiter habe sogar mal gesagt: “Das Einzige, was uns von den Patient:innen unterscheidet, ist der Schlüssel.” (F22.0 – Graphic Novel, Hofer & Maurer 2023)
Der Abend verfliegt und wir sind mit der Festivalleitung und den Mitarbeiter:innen die letzten im Filmcasino. Unser Baby schläft schon in den Armen der Mama, die immer noch mit Sabine plaudert. Die Geschichten aus dem Nähkästchen hinter den Kulissen der Szene und in der Vergangenheit des gemeinsamen Schaffens mit Thomas veranschaulichen die Leidenschaft, mit der die Crew seit mittlerweile Jahrzehnten das Kulturgut des Animationsfilms prägt und pflegt. Und hier passiert das “Best-Case-Scenario”, wie ich es einem Freund später am Telefon schildere. Die Leitung empfiehlt mir durch die Blume, doch bitte am Freitag bei der Preisverleihung anwesend zu sein. Ob man mir dazu ein Zugticket kaufen solle, fragt Thomas augenzwinkernd und ich lehne dankend ab. Und so folgt der Abschied beim Taxi vor der Tür und man winkt sich mit den Worten: “Bis Freitag dann. Okay?” – Und eine Welle der Euphorie durchströmt das Denken und hindert mich diese Nacht am Einschlafen.

Freitags sitze ich alleine im Zug. Nico und Franka haben schon Pläne und die Heimfahrt konnte ich mit Kolleginnen aus Linz kombinieren, die bei der Verleihung mit der interaktiven Installation Der Theaterautomat für Aufsehen sorgen. Ein lokal laufender Bildgenerator spiegelt die Person vor der Kamera und generiert ein lebendiges Gemälde. Man kann zwischen verschiedenen Klassikern, wie Kafka oder Schwanensee wählen und das Publikum interagiert verspielt und interessiert. Ein Projekt, das an der Schnittstelle des Zeitgeists zum Medium forscht und hier von Fachleuten Rückmeldungen sucht. Ein heiteres Spiel, wo der humoristische Reiz wohl an der Auslotung der technischen Grenzen liegt.
Und meine Vermutung bewahrheitet sich gleich zu Beginn der Verleihung. Die wohl spontan nach dem Screening am Mittwoch ausgezählten Stimmen des Saal-Votings führen zum Publikumspreis in der zugehörigen Kategorie. Und die Ehre ist groß, hier vor so vielen professionellen Kolleg:innen für die Anerkennung zu danken. Und ich spüre die Stimmen des Films hinter mir, die da so mutig und ehrlich ihre Geschichte zur Verfügung gestellt haben. Im Namen aller Beteiligten nehme ich die Urkunde entgegen und plappere ein paar Sätze ins Mikrofon. Applaus.
Meine Sitznachbarin Irene klopft mir freudig auf die Schulter und bietet mir sogleich Fotos an, die sie mit dem Handy ihres Partner gemacht hat. Es folgen die weiteren Publikumspreise und die Stimmung im Saal schaukelt sich nach oben. Die Jury wird vorgestellt und darf sich am Rand der Leinwand an einen Tisch setzen, um die Statements für die Hauptpreise zu verlesen. Nach den ersten zwei Sätzen wird mir mulmig. Sie beschreiben Lina. Sie heben die Stimmen hervor, deren Kraft und Notwendigkeit. Die Feinfühligkeit der Bilder und des Films allgemein. Ich kann es kaum fassen und werde aufgerufen. Der Hauptpreis für die Beste Narrative Arbeit. Ich schlurfe nach vorne und flüstere Sabine zu, dass ich mich doch nicht zweimal bedanken könne. Sie verneint und schubst mich ins Rampenlicht. Der Moment lässt innehalten und die Stimme zittern leicht. Ich gestehe mit Blick zur Jury, dass auch ich immer noch sehr emotional auf den Film reagiere, egal wie oft ich ihn schon sehen durfte. Ich empfange zustimmendes Nicken, sehe ob des Gegenlichts kaum Gesichter im Publikum, spüre aber dass sich die Gedanken übertragen. Der Moment der Berührung wohnt Lina inne, gepaart mit der unmittelbaren Realität der Thematik. Ein Momentum, das wohl angekommen ist. Beim Publikum und der Fachjury gleichermaßen. Das bedeutet sehr viel für das persönliche Schaffen, das meist im stillen Kämmerlein stattfindet. Ein solcher Rückenwind hat die Kraft weiterzutragen und zu motivieren.


Die restlichen Preisträger:innen realisiere ich kaum. Zu sehr überwiegt die Freude und Fassungslosigkeit. Wir werden zum Gruppenfoto gebeten und ich begegne nochmal kurz den Jurymitgliedern. Erneut bekräftigen sie ihre Zustimmung und haben noch Fragen zur Herkunft der Interviews. Durch den Fotografen werden wir leider unterbrochen und wir formieren uns vor dem Hintergrund. Ein langbärtiger Rocker in roter Lederjacke steht auf dem Podest direkt neben mir und kommentiert sein Näherkommen mit: “Ich berühre Sie jetzt nur dienstlich, Kollege.” Wir grinsen beide in Richtung Linse und halten unsere Urkunden hoch. Danach unterhalte ich mich noch lange mit Markus und seinem Begleiter, der ebenfalls Markus heißt. Ihr Musikvideo wurde prämiert und wir tauschen uns aus. Haben eine Vielzahl an synchroner Gedanken über die Szene, die Arbeit und die Welt. Ein traumhaft quirliger Geist, dem man gerne zuhört, weil er aus dem echten Leben spricht. Die zehn Jahre als Fotograf beim Bundesheer haben ihn dazu getrieben, sich endlich wieder mal zu sammeln. Denn das unabhängige Arbeiten traut mich sich ja oft selbst nicht zu, wenn das gesellschaftliche Narrativ dagegen spricht. Und auch die finanziellen Limitierungen lassen einem ja oft keine andere Wahl. Irgendwo muss man ja immer irgendwie auch Geld verdienen und da hilft die Ausbildung beim Animation Mentor oft wenig. Aber heute ist er dankbar, dass er durch diese Umwege wieder ein Stück näher zu sich selbst gefunden hat und ist voll auf begeistert hier so viele Gleichsinnige zu finden. Er entschuldigt sich für seine Redseligkeit und wir tauschen Nummern aus.
Es gibt Filme, die uns begleiten und lange in uns nachhallen. Werke, die uns <ef über unser eigenes Leben nachdenken lassen. Manche sagen, dass genau dies die Aufgabe der Kunst sei: uns eine Situa<on erleben und fühlen zu lassen, sodass sie uns berührt, verändert, vielleicht sogar stärkt. Auf diese Weise wachsen wir – und sind womöglich ein wenig besser vorbereitet auf die Tragödien, die uns begegnen können. – Die Erzählung von Lina tut genau das. Mit einer behutsamen Komposi<on einzelner Geschichten entsteht ein Werk, das zugleich erschüJernd und heilend wirkt. Es zeigt uns, wie wir die Stürme des Lebens durchschreiten können.
Jurybegründung BAAF – Luiz Cruz
Noch vor dem Sieger-Screening schlendere ich zurück in den Saal und finde dort Peter allein am Laptop sitzend. Ich frage, wie’s ihm geht und wir plaudern. Er habe mit seiner Partnerin anno dazumals auch einen Abbruch erlebt. Heute schämt er sich für die plumpe erste Reaktion, die ihm im Krankenhaus rausgerutscht ist. Und ja, wir wissen viel zu oft nicht, wie wir angemessen reagieren sollen. Geschweige denn welches Vokabular in solchen Situationen das bessere ist. Er winkt mich etwas zurück und meint, wir könnten gern auch über etwas Erfreulicheres reden. Immerhin gäbe es heute ja allen Grund zum Feiern. Aber ich beteure, dass mir seine Geschichte viel wichtiger ist, als jedes Networking da draußen beim Buffet.
Neben vielen Glückwünschen setzen sich gegen Ende des Abends auch nochmal Sabine und Thomas zu mir an den Tisch. Sie sind sehr glücklich mit der Entscheidung und gönnen dem Film die Prämierung aus vollem Herzen. Die Jury sei sich auch sehr schnell einig gewesen. Und ich danke den beiden an dieser Stelle genauso herzlich für ihr Engagement und die jahrelange Ausdauer, die es bewerkstelligt, dass unsere Filmgattung zu einer wachsenden und nicht wegzudenkenden Spezies der österreichischen Kulturlandschaft geworden ist.

Best Austrian Animation Festival - www.baaf.at

