#13 Von der Bekundung der Scheiße zur Rückkehr des Lachens

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Eigentlich war es immer schon unmöglich gewesen. Endometriose1, die immer wieder zu Komplikationen führt. Und eigenartigerweise bleibt auch die Regelblutung immer wieder genau so lange aus, bis sie einen Schwangerschaftstest macht. Natürlich immer negativ. Eine schräge Routine, um das hohle Prozedere einzuläuten. Psychosomatischer Schnickschnack zum Hohn einer ohnehin beschissenen Diagnose: Unfruchtbar. Dass nach eben dieser und zeitgleich zur Schwangerschaft der Schwester ein monatlicher Test positiv ausschlägt, grenzt an ein Wunder. Im Mai 2022 findet sich Dodo plötzlich in großer Verwirrung, die schnell einer wachsenden Freude weicht.

Sechs Wochen müssen schon vergangen sein. Beide sind überglücklich, obwohl niemand damit gerechnet hatte. Alle Untersuchungen bestätigen, was von medizinischer Seite vor Kurzem noch ausgeschlossen schien. Alles da, alles am Laufen. Es schlägt ein Herz, wo nie eines existieren hätte dürfen. Und natürlich beginnt man zaghaft die frohe Botschaft zu verbreiten. Weiht nach und nach die engsten Personen ein. Realisiert selbst anhand jeder weiteren Bekundung.

Und so verändert sich auch der Körper. Spielt neue Melodien im Haushalt der Hormone. Dodo vertraut auf die Veränderung, obwohl sie das Neuland auch irritiert. Nach weiteren sieben Wochen, bereits in der dreizehnten, steht die nächste Eltern-Kind-Pass-Untersuchung ins Haus. Das Paar befindet sich grade im Urlaub. Ihr Partner bleibt und Dodo reist für den Check verfrüht nach Hause.

Gynäkologin: Seng’s Se’s eh a?
Dodo: Ja, i siag’s a ned.

In der Praxis läuft alles wie immer. Eine Routinesache. Die Gynäkologin legt die Gerätschaften an, die üblichen Handgriffe. Die Geräusche der Technik und das Gefühl am Bauch. Aber heute fehlt etwas, merkt Dodo rasch. Etwas ist anders. Und ehe die Ärztin inne hält und ihr stumm in die Augen sieht, beginnen schon die Tränen zu fließen. Denn es ist klar. – „Sehen Sie’s auch?“, fragt die Gynäkologin und Dodo bejaht. Wenn man’s einmal gehört hat, weiß man, wie sich das normalerweise anhört. Und ja, man sieht auch, dass sich nichts bewegt. Skurril der Widerspruch, der das Nervenkostüm vom einen auf den anderen Moment packt und unversehens in der Luft zerreisst.

Es wird ihr freigestellt, darauf zu warten, bis das Kind von selbst abgeht. Alternativ könnte man es im Krankenhaus erledigen. Eine irritierende Fragestellung für eine kürzlich noch hoffnungsgeladene Mutter. Die Schwester steht bald zur Seite, fängt und sammelt die Fetzen auf, die hier auf den Boden einer zermürbten Realität segeln. Und tatsächlich gibt es noch einen freien OP-Termin und gemeinsam beschließen sie, es so schnell wie möglich über die Bühne zu bringen. Operativ. Gleich am nächsten Tag. Und im Nachhinein weiß Dodo nicht, was für sie schlimmer gewesen ist: der Abbruch an sich oder die folgenden Erfahrungen im Krankenhaus.

Ich weiß nicht, wie Menschen das aushalten. Und allen, die das aushalten, möcht‘ ich gratulieren.

Zur vereinbarten Zeit am Folgetag steht sei bei der Anmeldung und wird kurzerhand wieder heimgeschickt. Es sei was dazwischen gekommen und es handle sich nicht um eine Not-OP. Es sei jetzt nicht so wichtig. Sie solle in fünf Tagen wieder kommen. Dann hätten sie vielleicht wieder einen freien Termin. – Vor den Kopf gestoßen, bleiben nur Gedanken wie: „Ihr seid doch alle wahnsinnig. Ihr lasst mich jetzt allen Ernstes fünf Tage so rumsitzen?“

Und so bunkert sich das Paar in ihrer Wohnung ein und sie versuchen zu realisieren, einzuordnen. Man will in aller Intimität verstehen lernen, wie man mit dieser Situation umgehen soll. „Es beginnt eine Zeit, die sich später noch als wertvoll herausstellen wird“, meint Dodo. Und gleichzeitig steht das wichtigste Event des Jahres vor der Haustür. Das Ottensheimer Open-Air. Ein Musikfestival das sie seit jeher organisiert. Ein Projekt, das ihr mehr als am Herzen liegt. Und es beginnt ausgerechnet jetzt, einen Tag nach der Botschaft. Jegliches Empfinden von Freude ist unmöglich, wirkt wie in den Boden gestampft. Und wie könnte man auch hingehen? All die Menschen und die ganze Stimmung. Alle würden Fragen stellen. Alles zum Kotzen konträr.

Erst als sie am zweiten Tag des Festivals gemeinsam den Stream ansehen, schafft es ihr Partner auf liebevolle Weise die Perspektive zu ändern: „Hey, das Festival ist doch ein ganz wichtiger Teil von dir. Bringen wir das Baby doch auch noch hin. Das könnte doch auch schön sein.“ – Und es dürfte trotz der Gratwanderung ein wesentlicher erster Schritt getan worden sein, der Dodo dazu bewegt, sich eine Spur weit zu öffnen. Etwas zähflüssiges ins Fließen zu bringen.

Und so fahren sie hin. Nicht voll auf Juhu, aber eher zum Spüren. In behutsamer Distanz zur allgemeinen Ausgelassenheit passieren in kürzester Zeit ein Hand voll Begegnungen, die tatsächlich guttun. Die Mut geben. Und so werden die fünf Tage bis zur OP zu einer ganz besonderen Zeit des Abschieds und einer gewissen Dankbarkeit: „Einerseits schräg, zu wissen, dass man dieses nichtlebende Kind in sich hat und andererseits war’s auch: Hey, kurz bist‘ noch bei mir.“

Aber es kann ja nicht sein, dass man heulend im Wartezimmer sitzt und eine Krankenschwester fragt, was mit einem los sei. Dann sagt man, was los ist und sie sagt Huch und läuft davon.

Im zwischenmenschlichen Umgang ist noch viel Luft nach oben. Vor allem beim medizinischen Personal, dessen täglich Brot es sein müsste, mit Betroffenen adäquat umzugehen. Um so mehr die Entrüstung nach so mancher Begegnung. Zur obligatorischen Untersuchung zur Feststellung des Todes nimmt Dodo ihre Schwester mit. Ein essentieller Fels in der Familie und genau richtig zum Festhalten in diesen elenden Stunden. Sie besteht auch darauf, die Monitore aus dem Sichtfeld zu drehen, den Ton des Gerätes auf stumm zu schalten. Auf Drängen ihrer Schwester erhalten sie noch am selben Tag ein psychologisches Beratungsgespräch. Auf die eingangs gestellte Frage, nach dem Grund des akuten Besuches, meint die Psychologin: „Ja, da ist die Natur wohl mal wieder großzügig gewesen. Die braucht dieses Kind eben grade nicht.“

Hätte sie das Behandlungszimmer nicht sofort verlassen, wäre der Dame etwas passiert. Perplex ruft ihnen diese noch nach und bietet Hilfe für wann auch immer. Doch Dodo zerrt ihre Schwester aus dem Krankenhaus. Die taktlos empfangen Worte erzeugen in ihr eine unheimliche Wut und ihre altbekannte Willenskraft scheint zurück zu kehren. Was prinzipiell gut tut. Aber ob es am Ende gar psychologische Taktik gewesen sein könnte, um die Betroffene aus ihrer Schockstarre zu locken, bleibt zu bezweifeln. Das positiv besetzte Wort „großzügig“ im Zusammenhang mit dem Verlust eines Kindes zu benutzen, entzieht sich bis heute jeglichem Verständnis.

Diese Episode ist nur ein Anfang einer anhaltenden Serie irritierender Begegnungen. Und so trägt sich die Nachricht natürlich auch ins Umfeld hinaus. Auf einer Skala von schräg-schwierig bis zu unheimlich-heilsam passiert so ziemlich alles. Und Dodo übt sich in Stärke und Sanftmut, wo ihr doch manchmal Emotionen wie Kränkung oder Wut, den Kragen hätten platzen lassen müssen. Da gibt es einerseits Menschen, die mit ganz großen Armen auf einen zukommen. Meisten mit eigenen Erfahrungen oder Bezugspunkten. Dann gibt es aber auch die gutgemeinten Ratschläge oder pseudotröstlichen Bemerkungen. Man solle ja auch das Positive darin sehen. Schlußendlich habe man es ja zumindest geschafft, trotz der Diagnose schwanger zu werden.

Ich hab nicht gewusst, wie ich damit umgehen soll, dass Menschen, die mir Nahe sind, nicht damit umgehen können.

Und klar, geschieht Vieles nicht aus Böswilligkeit. Aber die Unbeholfenheit im Umgang mit dem Tabuthema Sternenkind bricht so mancher Mutter das Herz. Und so auch teilweise Dodo, die sich ja trotz des Vorfalls um keinen Millimeter verändert hat. Und so beständig wären doch auch die vorhandenen Freundschaften und Beziehungen gewesen, oder etwa nicht? Warum dann bitte diese Schutzhaltungen, dieses Aus-Dem-Weg-Gehen und dieses Schön-Reden? Das macht auf Dauer grantig.

„Die größte Frechheit besteht tatsächlich darin, dass einfach nicht darüber geredet wird“, benennt Dodo die verwahrloste und leider gängige Haltung. Zumindest könnte man es anerkennend anspielen. Irgendwie. Hauptsache etwas sagen. Ob und wie die betroffene Person darauf einsteigt, bleibt ihr dann ohnehin überlassen. Nur das Schweigen ist der Killer. Man bräuchte das Gegenteil. Mit offenen Armen müssten sie einem entgegen laufen und um den Hals fallen. Einen bedingungslos auffangen und verdammt nochmal einfach nur da sein. Nur versucht der Mensch unangenehmen Situationen in der Regel aus dem Weg zu gehen. Keiner steht sich’s wirklich auf sowas und die Mehrheit ist so sozialisiert worden. Man tickt nunmal im Sinne einer Vermeidungstaktik: „Uh, das ist was Schlimmes passiert. Da werd ich jetzt lieber nicht gebraucht. Das ist besser so.“

Im selben Kontext erinnert sich Dodo an ihr erstes Begräbnis als Kind. Das unglaublich beklemmende Gefühl, das sie nie vergessen wird. Alle Erwachsenen stehen rum und heulen. Mama, Papa, Großeltern. Und dann musst du zu den Hinterbliebenen gehen, die Hände schütteln und dein Beileid sagen. Schon Arg als Kind. Ziemlich In-Your-Face. So lernt man das. Und genauso gibt es auch genügend andere Verhaltensvorlagen. Wenn wo ein Kind geboren wird, stellt man einen Storch auf, zu jedem Geburtstag eine Torte, bei jedem Dachstuhl ein Baum drauf, zu Ostern ein Kranz an die Tür, et cetera … aber wenn ein Sternenkind auf die Welt kommt, weiß niemand so recht, wie man reagieren soll. Wir wissen es nicht.

Bald beginnt Dodo ihre Strategie zu ändern und nimmt eine brachial offene Haltung ein. Denn wenn Menschen, die ihr Nahe stehen, nicht wissen, wie sie mit ihr umgehen sollen, dann müsse sie das einfach ganz klar kommunizieren. Auf die Frage nach dem aktuellen Befinden kam sinngemäß nicht nur einmal die Antwort: „Ziemlich scheiße. Hab grad ein Kind verloren. Und Dir?“. Und so mag es auch passiert sein, dass sie der ein oder anderen Person vor den Kopf gestoßen haben mag. Aber solche Kollateralschäden scheinen ihr immer noch verkraftbarer, als so manch passive Ignoranz.

Hausarzt: “Was für eine Scheiße”
Ja, jetzt sagt endlich mal wer, was das ist.
Nämlich eine richtige Scheiße.

Nicht zuletzt findet der Hausarzt als Erster die wohl professionellsten Worte: „Was für eine Scheiße!“ – „Und es soll okay sein dürfen, dass es scheiße ist“, betont Dodo. Es genügt ja schon, dass sich alle um dich Sorgen machen und auch der Partner überhaupt nicht weiß, wie er mit dir umgehen soll. Man muss zwischenmenschlich durchgehend Feingefühl aufbringen und gleichzeitig mit den eigenen Zuständen in Einklang bringen. Irgendwie funktionieren. Da tut es gut, die Dinge mal beim Namen zu nennen.

Und sie hätte sich nie gedacht, dass sie dem Ganzen irgendwann auch noch mal etwas Gutes abgewinnen würde. Aber Dodo spricht heute positiv über ihre eigene Transformation. Viel gelernt habe sie, viel über sich selbst und ihren Körper. Auch über das Gesundheitssystem und die Menschen, mit denen sie in Verbindung lebt. Sie weiß heute, dass es in solchen Situationen wichtig ist, sich immer wieder auf sich selbst zu besinnen, auf das was man braucht. Die Bedürfnisse Anderer dürfen sich in solchen Zeiten getrost in die zweite Reihe stellen.

Sie betont es, weil sie sich oft mehr Sorgen um andere macht, als um sich selbst. „Ein Ablenkungsmanöver und der einfachere Weg“, meint sie. Sie reißt sich zusammen und beginnt eine Therapie, um mit der Trauer umgehen zu lernen. Bemerkt aber schnell, dass die Sitzungen nicht das Richtige für sie sind. Sie besucht bald Gesprächsgruppen, trifft sich mit anderen Betroffenen. Sucht Austausch auch im privaten Umfeld. Und Schritt für Schritt beginnt die Einsamkeit ihre versteinerte Gestalt zu verändern.

Die ersten Wochen und eigentlich Monate bin ich mir vorgekommen wie der einsamste Mensch der Welt. Das ist nur mir passiert und sonst niemandem. So denkt man.

Immer mehr Betroffene treten in Erscheinung. Menschen, von denen man nie vermutet hätte, dass sie auf irgendeine Weise Ähnliches erlebt haben. Das hilft voll. Dodo bemerkt, dass sie es verabsäumt haben muss, sich bei bestimmten Menschen jemals zu bedanken. Vermutet aber im selben Atemzug, dass diese bestimmt wissen, dass man in diesen Phasen ein anderer Mensch ist. Und dabei ist es oft nebensächlich, wie oft man die Geschichte schon erzählt hat. Jedes Mal ändert sich die Perspektive. Jedes Mal tritt eine neue Ansicht zutage. Das Einzige, das nicht hilft, ist nicht darüber zu sprechen.

Lange verflucht Dodo ihren Körper. Hasst ihre anatomische Unfähigkeit. Sie erschrickt jedes Mal, wenn sie ihn selbst berührt. Denn die letzte Person, die das tat, war die Gynäkologin, als sie feststellte, dass der Herzschlag nicht mehr da ist. Auch für den Partner eine absolute Tabuzone, überall anders, nur nicht am Bauch. Bis sie sich eines Tages einer Therapeutin stellt, die körperliche Traumata behandelt. Sie schildert ihr die Grundzüge ihrer Geschichte, verschweigt aber bewusst, das Thema mit dem Bauch. „Es war voll der wichtige Schritt in dem ganzen Prozess, dass mir wer Fremder auf den Bauch gegriffen hat. Da hat sich voll viel gelöst in mir. Da hab ich alles rauslassen müssen, aber es war super.“

Auf meine Frage, ob es auch etwas Bewahrenswertes aus dieser Zeit mitzunehmen gäbe, meint sie, dass es wohl ein Plus an Selbstliebe sei. Denn durch die konsequente Achtsamkeit, die ihr die Situation abverlangte, hat sie gelernt, körperliche Veränderungen wahrzunehmen und zu reagieren. Signale, die sie früher aus Beiläufigkeit ignoriert hätte. Wenn sie zum Beispiel mal phasenweise Gewicht verlor, hatte sie sich gedankenlos darüber gefreut. Heute versucht sie den Ursachen nachzufühlen, dem Körper die richtigen Fragen zu stellen und zu beobachten.

Dodo weiß, dass sie mittlerweile schon viele Sichtweisen durchlebt hat. Und sie sieht sich heute als anderen Menschen. Die Summe der Erfahrungen hat eine Prägung im Denken und Handeln hinterlassen. Den Blick auf die Gestaltung des eigenen Lebens neu definiert und geschärft. Sie weiß heute, wie sie leben möchte und vor allem: wie sie nicht leben möchte. Vieles hätte sie sich anders gewünscht und kann es heute klar benennen.

„Und bitte Freunde, bitte erzählt es trotzdem, wenn ihr schwanger seid“, lautet ihr dringender Appell. Denn nicht nur einmal durfte sie über drei Ecken erfahren, dass eine nahestehende Person ein Kind erwartet. „Es bringt überhaupt nichts, man wird eh nicht verschont. Von der ganzen Welt nicht.“ Sie vergönnt es jeder Frau, Mutter zu werden. Sowas darf man nie in Bezug auf sich selbst setzen. Genauso spürt sie in keiner Sekunde Eifersucht, als ihre Schwester zeitgleich Mama wird. Ist hingegen von Herzen dankbar, als jüngere Tante eine so bereichernde Rolle zu erhalten.

Da war ein Baby da, das mich ang’schaut hat
und Fridolin geheißen hat.

Die Verarbeitung nimmt ihren Verlauf und die Monate ziehen vorbei. Die letzte Hürde, die Dodo noch Angst macht, ist das errechnete Geburtsdatum. Sie fürchtet diesen Termin, wegen der vielen schwierigen Emotionen, die sie wieder einholen könnten. Wegen der Tatsache, dass es der Tag einer gesunden Begegnung hätte sein können. Die Mündung aller verpassten Möglichkeiten, die zur Genüge die letzten Monate dominiert hatten.

Kurioserweise nimmt Dodo dieses Datum nicht wahr und übersieht den Tag. Erst als sie zwei Nächte danach von der Geburt träumt, tritt eine Gestalt in ihr Bewusstsein. Im Traum gebärt sie ein Kind, als wäre alles in Ordnung. Auch ihr Partner ist anwesend. Es kommt auf die Welt und sie hält es im Arm. Und plötzlich bekommt das Kind ein Gesicht und auch einen Namen: Fridolin. Und er sieht ihnen in die Augen. Ganz schräg das Gefühl. Und auf wundersame Weise löst sich etwas, ein Schmerz beginnt zu bröckeln. Wie lange hatte sie sich doch gewünscht, ihn nur kurz halten zu dürfen.

Und ebenso unmittelbar, wie er erscheint, geht er im Traum auch wieder. Denn er stirbt sogleich. Besucht und verlässt sie innerhalb kürzester Zeit. Ganz simpel und unverblümt. Über den Namen hätten sie schon einige Male gesprochen, das Geschlecht aber nie erfahren. Jetzt ist alles klar. Irgendwie durchlebt und akzeptiert. Als sie ihrer Schwester am Tag darauf davon erzählt, ist diese anfangs schockiert und in Sorge. Aber Dodo beruhigt und sagt: „Es hat so gut getan. Das war voll wichtig und ein total notwendiger Schritt“.

Und was voll wichtig ist: Ich hab mir nicht gedacht, dass ich jemals wieder so viel lachen kann.

Vieles hat sie auch ihrer Familie zu verdanken, die ihr den wichtigen Momenten zu den richtigen Schritten geraten haben. Immer da waren, wenn der Hut brannte. Dodo schätzt sich glücklich und bemerkt gleichzeitig, dass sowas nicht immer bei der Familie hängen bleiben darf. Da muss es mehr geben. Sie erinnert sich an ihre relativ ratlose Gynäkolgin, die ihr nur einen einzigen brauchbaren Link gab. „Es gibt ja auch ein Schwammerlamt. Wieso gibt es nicht auch irgendwo ein Kammerl, wo ich hingehen kann und jemand sagt mir, was ich tun kann?“, bemerkt sie ironisch.

Damals dachte sie, dass das mit dem Glücklichsein für immer vorbei ist. Das wird nix mehr. Aber heute weiß sie, dass das Blödsinn ist. Dass man stark genug ist, ob man’s im Moment glaubt oder nicht. Rückblickend sagt sie, was sie sonst nur über Andere geglaubt hat: „Wow, was für eine coole Frau“. Und immer wenn sie heute Kraft braucht, nimmt sie tatsächlich das Telefon und ruft ihren Ex-Partner an. Der einzige Mensch, der wirklich hautnah dabei war, der jede Nuance mitfühlen kann. Und auch ihr Hund weiß viel zu geben, hilft aus schwierigen Situationen und kompensiert auf bemerkenswerte Weise die Mutterschaft. Obwohl verboten, führt die Spazierrunde oft zum Friedhof, wo sie zum Jubiläum des Traumes jährlich ein Kerzerl anzündet.

Und manchmal besucht er sie sogar noch heute in ihren Träumen. Ist anwesend in Herz und Emotion. Auf meine Frage nach ihrer persönlichen Definition von Seele, bemerkt Dodo, bis dato keine bewusste Idee dazu gehabt zu haben. Heute spricht sie mit ihrem Ex-Partner immer wieder darüber. Weil Fridolin da war, sie ihn nur als Mensch nicht kennen lernen durfte. Und es sprudeln die Gedanken: über das sonderbare Gefühl der Elternschaft oder das Phänomen der älteren Menschen, die sie als „alte Seele“ bezeichnen und oft um Rat fragen. Außerdem ist sie überaus dankbar für ihre konstant absurden Gehirnaktivitäten im Schlaf. Und man spürt, wie ihr Schmunzeln den Raum erhellt.

Was bleibt, ist das wiederkehrende Bedürfnis zu Reden und die Eltern haben sich versprochen, in dieser Sache immer füreinander da zu sein. Auch wenn der Hype der harten Phase längst verblichen und die Beziehung nicht standgehalten haben mag, bleiben sie in steter Obsorge um den Gedanken Fridolin ewige Verbündete.


  1. Endometriose – Oft schmerzhafte chronische Erkrankung, bei der Gewebe, das der Gebärmutterschleimhaut ähnlich ist, außerhalb der Gebärmutterhöhle Verwachsungen bildet. Gewebeblutungen und Narbenbildung führen bei geschätzt dreißig bis fünfzig Prozent der Betroffenen zur Unfruchtbarkeit. (Quelle: Wikipedia) ↩︎
By remo

Über das Projekt

Das Projekt sammelt Geschichten und Stimmen zum Thema ‘Sternenkinder’ und möchte dies in Form von Audioaufnahmen zu einem Animationsfilm verarbeiten.

Die gesammelten Ergebnisse der Gespräche, sowie Einblicke in das Handwerk des Animationsfilms sollen über diese Webseite einem interessierten Publikum zugänglich sein. Ebenso soll dieses Archiv betroffenen Menschen als Inspiration und therapheutische Anlaufstelle dienen.

Das hier beleuchtete Phänomen ist kein Seltenes, und gerät als gesellschaftliches Tabu oft in eine prekäre Nische, die zu seelischen Schieflagen führen kann. Für den Film und die Sammlung werden Menschen gesucht, die anderen Betroffenen neue Sichtweisen und heilende Perspektiven schenken wollen.