Ganz unverhofft schaue ich nochmal das Programm durch. Vielleicht ließe sich für morgen Vormittag doch noch was Interessantes finden. Und siehe da: eine Doku über PinScreen1. Die Beschreibung triggert auf den Punkt. Wie können Restriktionen einen kreativen Arbeitsprozess beflügeln? Zudem hatte ich die Technik zwar schon gekannt, aber nichts über ihre Geschichte und schon gar nichts über Alexander Alexeieff und Claire Parker gewusst. Ein Paar, dessen Erfindung quasi nur zweimal auf der Welt existiert. Ein Stipendium verlost die Arbeit mit dem antiken Gerät. Der Saal ist zu einem Drittel voll. Annecy 2024.
Ich muss gestehen, dass mir das Festival nicht besonders viel Bemerkenswertes gezeigt hat. Groß ist die Szene, verrückt ist der Markt, überladen die Auswahl, zweifelhaft das Feingefühl. Überwiegend. Und wie es die Ironie will, sehe ich den besten Film der Woche am Abend vor der Doku am Notebook. Bin endlich berührt, spüre die Finesse der Bilder, die Griffigkeit der Komposition, die Geschmeidigkeit in jeder einzelnen Faser der Musikalität dieses Stücks. Die Sogwirkung hinterlässt ein Gefühl von Zeitlosigkeit, echter Emotion und Dankbarkeit. Dankbarkeit für eine Perle.
Die Doku hat gut ergänzt. Die Stimmung nach dem Screening ist anscheinend gut, viel Frage-und-Antwort auf Französisch. Aber das macht nichts, denn es bleibt genug zu beobachten. Und am Ende traue ich mich nicht, ihr auf die Schulter zu tippen und zu fragen, wie es war, für sechs Monate einen Kasten voller Nägel zu umarmen. Denn das Timing hätte nicht gepasst, da bin ich mir sicher. Justine Vuylsteker sitzt nämlich schon die ganze Zeit direkt in der Reihe vor uns.
1) Étreintes (Embraced) von Justine Vuylsteker (5min, 2016)
2) Making Of Étreintes mit englischen Untertiteln
3) Infos zu Alexander Alexeieff und Claire Parker
4) The Painting von Michèle Lemieux (11', 2024)