Die feinen Linien des Erinnerns

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Eine warmherzige und feinfühlige Arbeit. Schon fast aus dem Jahre Schnee, aber doch immer wieder aufpoppend: „My Mother’s Coat“ von Marie-Margaux Tsakiri-Scanatovits (Royal College of Art, 2011). Dürfte irgendwo am Ende meines Studiums und am Anfang meiner Arbeit für das Animation Festival einen bleiben Eindruck hinterlassen haben. Und wahrscheinlich verstehe ich sie heute besser, als damals. Denn die subtilen Effekte haben mich früher weniger beeindruckt oder ich konnte sie schwerer benennen. Emotional bewegen sie fragilere Ebenen, wirken andernorts, als auf der reißerischen Oberfläche. Und im Einklang aller Zutaten, stellt die Erzählung dabei einen sehr persönlichen Kontakt her. Lädt zum Berühren ein.

Genauso wie die Stimme der Erzählerin eine Textur und Charakteristik trägt, webt die Komposition ein lebendig vibrierendes Gesamtbild. Jede Lücke lädt zum Vervollständigen und zum Eintauchen ein. Und dies gelingt sehr gut. Denn neben dem visuellen Stil, der in der Collage der feinen Linien und gelegentlichen Farbtupfer, viele Schichten und Überlagerungen benutzt, so erhält auch das Gefühl des Erinnerns eine poetische Haptik. Bestärkt durch das authentische Echo der Realaufnahmen am Ende. Ein großartiger Kniff.

Und wahrscheinlich gefällt mir das, weil es nicht zu dick aufträgt und viele Möglichkeiten zulässt. Vielleicht werd ich auch schön langsam älter. Aber Klamauk und Geschwindigkeit würde hier taktlos wirken. Vor allem im Kontext des Dokumentarischen. Wo doch vielmehr das Alltägliche an Banalität verliert und neue Lebensrealitäten überraschende Perspektiven triggert. Die eine Vase am Regal oder der tausendfach erprobte Handgriff können im Assoziativen tiefere Ebenen zulassen. Ohne dabei konkret sprechen müssen. Bedeutung im Schemenhaften, Mehrwert durch Mehrdeutigkeit.

Denn ein Verlust relativiert die Wahrnehmung von so vielen Kleinigkeiten. Relativiert jeden achso in Routine verkommenen Handgriff und kann tektonische Verschiebungen im Weltbild verursachen. Und das sowieso immer nur ganz individuell. Somit möchte ich den Hut ziehen und bald einen Anlauf probieren, diese Sprache zu erlernen.

"My Mother's Coat", 6"06'
Regie: Marie-Margaux Tsakiri-Scanatovits
2011, Animation Department Royal College of Art, UK
http://film-directory.britishcouncil.org/my-mothers-coat
By remo

Über das Projekt

Das Projekt sammelt Geschichten und Stimmen zum Thema ‘Sternenkinder’ und möchte dies in Form von Audioaufnahmen zu einem Animationsfilm verarbeiten.

Die gesammelten Ergebnisse der Gespräche, sowie Einblicke in das Handwerk des Animationsfilms sollen über diese Webseite einem interessierten Publikum zugänglich sein. Ebenso soll dieses Archiv betroffenen Menschen als Inspiration und therapheutische Anlaufstelle dienen.

Das hier beleuchtete Phänomen ist kein Seltenes, und gerät als gesellschaftliches Tabu oft in eine prekäre Nische, die zu seelischen Schieflagen führen kann. Für den Film und die Sammlung werden Menschen gesucht, die anderen Betroffenen neue Sichtweisen und heilende Perspektiven schenken wollen.