Fast 40 Kontakte im Verteiler der Menschen, die entweder kulturell aktiv oder im Freundeskreis passend erscheinen. Rücklaufquote in drei Tagen: Sieben. Das überwältigt fast. Und das bis Tirol hinaus. Der Mittelsmann ist schon auf der Verdachtsliste und muss noch gegengeprüft werden. So verläuft ein Tag neben hauptberuflichen Aufgaben und der Kopf wird zunehmend unbrauchbarer, je mehr sich die Nachrichten häufen und Querverweise auftauchen.
Zwei der Menschen sind Photograph*innen und arbeiten ehrenamtlich für die „Dein Sternenkind Stiftung“ in Deutschland, die über die Landesgrenzen hinauszuragen scheint. Dabei wird akkut Betroffenen die Möglichkeit gegeben, ein „erstes und letztes Bild“ ihres Kindes professionell umzusetzen. So beschreibt es eine Bildunterschrift. Alleine der Titel schaffte es, meine Zeit für einen Moment stillstehen zu lassen.
Da schwirren die Gedanken – auf so etwas ist man neben den Emails nicht so wirklich vorbereitet – das Register wird geflutet, der Einordnungsmechanismus sucht nach Anhaltspunkten, wo bisher nur eine wage Vermutung als Platzhalter fungiert hat. Und da sind sie. Liebevoll inszeniert, in Strickdecken gehüllt, in Tragekörbe gelegt, sauber geleuchtet und überragen in der Makrolinse kaum eine Fingerlänge. Manchmal wachsig glänzend, die Augen unausgebildet.
Die Internetseite bietet Kontakte zu Mentor*innen, Buchempfehlungen, Hilfsangebote für verwaiste Eltern, Animationsfilme und Hörspiele für Geschwisterkinder. Wofür die Autor*innen aber besonders plädieren, ist der Wert des Bildes, als „Zeugnis für die Existenz“, als „Zeugnis Eltern zu sein“, als „Stütze für die verblassende, optische Erinnerung“. Dem Integrations- und Verarbeitungsprozess zutragend.
„Ein Bild – als Verbindung von Erinnerungen und Gefühlen“
https://www.dein-sternenkind.eu/
Was hinzukommt und an was ich als Filmemacher in diesem Kontext nicht gedacht hätte, ist die Methode, wie man ein anständiges Bild einfangen kann. Denn ein unausgebildeter menschlicher Körper besitzt noch keine ausgeprägte Form, keine Festigkeit, die Haut und das Skelett können Schwerkraft und Sauerstoff noch nicht in der Form „aushalten“, wie es später der Fall ist. Sie könnten zerfließen oder austrocknen. Darum verweist die Seite auf die sogenannte „Wassermethode“, um frisch Geborene bis zum Zeitpunkt des Fotoshootings bestmöglich zu konservieren.
Was hier den Eltern als ungemein wertvoller Verarbeitungsschritt angeboten wird, hat meine eigene Vorstellungskraft vollkommen gesprengt. Mein Unterbewusstsein rotiert seit Stunden, ist irgendwo orientierungslos und irgendwie schockiert. Wahrscheinlich weil der vom Mainstream abgebrühte Apparat, solche Bilder nie als real eingestuft hat – es triggert in mir „Aliens“ und ich traue es mir kaum zu sagen. Selbst das viele Denken und gewissenhafte Vorfühlen auf dieses Projekt, hat die Dimension eines solchen Ereignisses niemals so auf den Punkt gebracht, wie diese Bilder.
Ein Spaziergang und das Schreiben hier sollen nun mein Verarbeitungsprozess für heute sein. Neben der schönen Nachricht eines anderen Projektes, das sich einen Baum als Medium ausgesucht hat. Im Zuge der Vorweihnachtszeit steht ein Tannenbaum bereit, mit Sternen behangen zu werden. Jeweils stellvertretend für eine Frühgeburt und als Trost für die Eltern. In einem gemeinsamen Feuerritual werden diese Sterne im Anschluss verbrannt und in den „Himmel“ geschickt. Laut der Autorin sammelten sich in der kleinen Ortschaft über zweitausend Sterne in den letzten drei Jahren.