Das Jahr beginnt besonders. Ein Interview fällt mir quasi fix und fertig in den Schoß. Charlotte Pittner berichtet für EinLebenBeginnt.de darüber, warum sie sich dazu entschieden hatte, ein totes Kind natürlich zu gebären.
Und dabei spricht sie ganz offen über eigene Ängste und Motive, das anfangs eher entrüstete Umfeld und die heilende Wirkung nachdem sich die Gespräche öffneten, wie das Trösten wirkte, die Zwischenmenschlichkeit anfing zu wirken. Was sich in ihrer Geschichte als heilendes Ventil offenbarte, ist aber auch nicht Jederfrau’s Veranlagung. Und es gibt viele Gründe warum wir Schweigen.
„Was machen wir mit Eltern, deren Kinder gestorben sind? Da haben wir wenig Ideen, wie wir gesellschaftlich damit umgehen“, stellt Charlotte fest. Wir würden davon profitieren, wenn sich Blaupausen für den Umgang weiter etablierten. Wenn eine Selbstverständlichkeit darüber zu sprechen auf anderen Beinen stehen würde. Ähnlich wie bei Scheidungen.
Die größere Angst entspringt dabei der Annahme, dass das Umfeld urteilen könnte. Und die daraus resultierende Angst „nicht richtig“ zu sein, dass die Natur hier einen „Fehler“ zeigt, der vom Unvermögen ein gesundes Kind zur Welt zu bringen herrühren könnte. Hinzu kommt, die stumme Reflexion durch das Gegenüber: „Jetzt erproben die anderen an mir, was man macht, wenn eine plötzlich wiederkommt und es ist kein Baby mehr da. Die kucken dich voll mitleidig an. Das ist nicht nur einfach, das auszuhalten. Das Fragezeichen, das Tabu.
Geübt als Sozialpädagogin bringt sie es mehrfach auf den Punkt, wie der gesellschaftliche Tenor tickt: „Nur wenn das Kind nach 9 Monaten normal auf die Welt kommt, war ich RICHTIG. Alles was dem nicht entspricht, hat was mit “Ich bin falsch zu tun”. Falsch ernährt, falsch verhalten, ich hab nicht die richtigne Gene, oder whatever. Jetzt sehen alle, wie falsch ich bin.“
Und dabei könnten die Perspektiven sehr leicht in ein positives und konstruktives Licht blicken. Denn die Frage nach korrekter Leistung eines Körpers, ist hier mehr als unangebracht, am Ende gar destruktiv für den Verarbeitungsprozess. Alleine die Begrifflichkeit der „Fehlgeburt“ ist hier mitverantwortlich für ein Gefühl des Versagens. Pittner konstatiert, dass im Sinne eines evolutionären Programms nichts schief gelaufen ist. Die Natur hat ganz richtig gehandelt. Der Embryo ist dieses Mal nicht lebensfähig, der Körper habe sich dazu entschlossen, ihn frühzeitig abzustoßen. – Eine „Frühgeburt“.
Trotz vieler Hinweise, wie ein offener Umgang aussehen könnte, bleibt Charlotte versöhnlich mit unseren verkorksten Blaupausen. Denn es darf viele Wege geben. Nur dort, wo die hart eingebürgerten Muster schädlich werden, kann ein Auflösen zum Nährboden führen.
Und auch nach ihrer zweiten Frühgeburt wäre sie bereit dafür, erneut einer „kurzen Seele“ eine Heimat zu geben, erklärt sie zusätzlich. Für sie ist und bleibt es ein natürlicher Prozess, der mit all seinen Makeln zum Konstrukt „Mensch“ dazugehören darf und auch als solches gehandelt werden soll.
Und dabei erkennt sie, wie stark Beziehungen sein können. Dass hinter dem “Die anderen sehen, dass ich leide” auch steht “Ich darf eine heilsame Gemeinschaft erfahren”. Wenn wir durch das Schweigen durchgehen, dass da ganz viel Liebe wartet. Dass es schön ist, in den Arm genommen zu werden. Dass man dankbar dafür ist, erlebt haben zu dürfen, dass Menschen über den Bauch streicheln und sagen „Mach’s gut Würmchen“.
Sich in dieser Phase auch mehr und mehr mit Menschen auszutauschen, die Ähnliches erlebt haben, diesen Austausch als wohltuend zu erleben – und sich nur allzuoft mit sonst Wildfremden auf dieser Ebene zu „verschwestern“, ist ein Phänomen, auf das sie dankbar zurückblickt. All das erzählt Charlotte Pittner mit funkelnden Augen und lässt spüren, wieviel Potential die Situation bergen kann, sofern man sie zulässt.
Sie verabschiedet sich mit den Worten: „Ich lade aber auch grundsätzlich Leute ein … Menschen in Beratung und in Gesprächen, aber einfach auch im Privaten mit ihren Freunden und Freundinnen, aber auch in der Familie darüber zu sprechen. Ich fand, das war so schön für mich zu erfahren, wieviel Menschen um uns sind, die ähnliche Erfahrungen in ihrem Leben gemacht haben. Wo ich denke, einfach raus damit – überwindet eure Scham, die – braucht’s nicht, wär jetzt falsch gesagt – aber, es ist es wert, da durch zu gehen. Für mich zumindest, war’s das jedenfalls.“
Quelle: „Warum ich mich entschieden habe ein totes Kind natürlich zu gebären”. Interview mit Charlotte Pittner. Aus der Serie „Ein Leben beginnt – Reisebegleitung für Schwangerschaft, Geburt und darüber hinaus.“.
Weiterführende Links: www.heilwissen.net und www.einlebenbeginnt.de
Mit größtem Dank an Philipp Bruckschlögl und Agnieszka Wellenger (!)